
Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln, Hamburg und anderswo haben mir in den letzten Tagen zugesetzt und mich einerseits nachdenklich, andererseits wütend gemacht. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich die vielen Frauen fühlen, die jetzt Anzeige erstattet haben. Ich mag mir nicht vorstellen, was es mit ihnen macht, welche Auswirkungen die fürchterlichen Vorfälle auf ihr Leben haben. Aber ich kann es mir leider nur zu gut vorstellen. Und ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal passiert. Am liebsten wäre mir, dass Gewalt gegen Frauen überhaupt nicht mehr vorkommt, aber das ist eine Utopie. Denn zu lange wurde sie verharmlost oder nicht als Gewalt anerkannt.
Deshalb müssen wir – wie Birte Vogel es in ihrem bedenkenswerten Artikel auf ihrem Blog Thea sagt – über den Umgang mit Frauen und sexueller Gewalt in ganz Deutschland sprechen. Wir müssen über die Einstellung und das Verhalten von (manchen, nicht allen!) Männern (und auch manchen Frauen) gegenüber Frauen reden, wir müssen meiner Meinung nach jedoch genauso darüber reden, welchen Stellenwert Frauen in anderen Gesellschaften haben. Wir müssen darüber reden, wie wir Verhältnisse wie auf dem Tahrir-Platz in Ägypten in Deutschland verhindern können. Und nein: Ich werde jetzt ganz bestimmt nicht verallgemeinern und sagen, alle Männer der oder der Nationalität sind so oder so. Genauso wenig, wie ich sage, alle Menschen mit Segelohren können besser hören (manche können es, manche nicht – das liegt nicht an den Segelohren). Doch genauso wenig dürfen wir verschweigen, dass es überall Arschlöcher gibt, wie ich vor Kurzem schon einmal schrieb.
Nicht länger schweigen
Und wir Frauen dürfen nicht länger verschweigen, was wir in unserem Leben bereits an sexuellen Übergriffen und Gewalt erlebt haben. Damit das ganze Ausmaß endlich einmal deutlich wird und klar wird, warum Frauen seit langem Änderungen zum Beispiel im Sexualstrafrecht fordern. Als sich 2013 schon einmal viele Frauen unter dem #Aufschrei zu Wort meldeten und über ihre Erfahrungen berichteten, wurde das noch von vielen Menschen in Deutschland abgetan. Es gibt sogar Frauen, die den betroffenen Frauen in den Rücken gefallen sind mit Büchern und Sprüchen wie „Jetzt mach doch mal die Bluse zu“. Doch es geht hierbei nicht darum, Blusenknöpfe zu schließen. Es geht darum, dass sexuelle Übergriffe und Gewalt gegen Frauen unabhängig von Kleidung, Alter, Aussehen passieren. Es geht darum, dass Frauen nie davor geschützt sind – egal, wie sie sich verhalten (das zeigen übrigens auch die Ereignisse vom Tahrir-Platz. Dort wurden Frauen belästigt und angegriffen, egal, ob sie verschleiert waren oder nicht). Und ja: Es gibt auch Gewalt gegen Männer. Auch die darf selbstverständlich nicht verschwiegen werden. Doch haben sicher die wenigsten Männer in Deutschland Angst, wenn sie nachts allein unterwegs sind – für die meisten Frauen jedoch ist das der Alltag. Sie gewöhnen sich „nur“ mit der Zeit an ihre Angst.
Mangel an Respekt
Jetzt aber zum Nicht-länger-Schweigen. In all den Jahren, in denen ich auf der Welt bin, habe ich leider allzu oft am eigenen Leib erfahren müssen, wie wenig Respekt manche Männer Frauen gegenüber haben. Und Respekt ist noch freundlich ausgedrückt. Ich kann nicht verallgemeinern, was mir zugestoßen ist, aber ich bin sicher, dass viele Frauen das ein oder andere Erlebnis aus eigener Erfahrung kennen. Ich zähle jetzt übrigens nur die Vorfälle auf, die mir über all die Jahre im Gedächtnis geblieben sind – eben, weil sie nen Zacken schärfer waren als die „ganz normalen“ Sprüche Frauen gegenüber auf der Straße (wobei: Fänden Männer es toll, wenn sie – ganz allein unterwegs – von einer Gruppe Frauen so oder ähnlich angesprochen werden: „Hey Süßer, du füllst deine Hose ja gut aus. Zeig doch mal …“?).
Eine Chronik
- Es fing meiner Erinnerung nach alles mit einer Reise mit meinen Eltern nach Kopenhagen an. Eine Busreise. Ich war 11 Jahre alt und ich trug eine Cordhose (ich weiß es noch genau, weil es eine enge Cordhose war, die ich sehr liebte, mich hinterher jedoch fragte, ob ich damit irgendwas provoziert hatte). Ich stieg in den Bus ein. Hinter mir ein Vater mit seinen Söhnen. Der fasste mir beim Einnsteigen an den Po, grinste mich an und machte eine anzügliche Bemerkung. Ich machte … nichts. Es war mir zu peinlich.
- Mit 12 Jahren lag ich im Krankenhaus. Einer der Ärzte griff unter meine Bettdecke und berührte mich im Intimbereich. Unnötigerweise. Wer einen gebrochenen Arm hat, braucht keine gynäkologische Hilfe. Ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wusste, ob mir jemand glauben würde.
- In meiner Studentenzeit stand plötzlich nachts im Studentenwohnheim ein Mann in meinem Zimmer. Er wollte Sex. Ich konnte ihn rauswerfen. Ich hielt mich für naiv, dass ich versäumt hatte, mein Zimmer abzuschließen.
- Im Studentenwohnheim wurde ich mehrfach von Männern anderer Nationalitäten als Nazi beschimpft. Weil ich Sex mit ihnen abgelehnt hatte. Weil ich gewagt hatte, Nein zu sagen.
- In meiner Studentenzeit besuchten eine Freundin und ich mit zwei Männern einen anderen Mann in dessen Wohnung. Plötzlich herrschte eine merkwürdige, unterschwellig aggressive, sexuell aufgeladene Stimmung. Ich überlegte, wie wir möglichst rasch die Wohnung verlassen könnten, ohne dass die Situation eskalieren würde, fand keine Lösung und hatte folgende Gedanken: „Gleich könnte es also das erste Mal sein, dass du vergewaltigt wirst. Am besten, du schaltest deine Gefühle ab, lässt alles über dich ergehen. Dann kommst du vielleicht noch einigermaßen heil hier raus.“ Innerlich wurde ich ganz kalt. Glücklicherweise gab es kurz darauf die Gelegenheit, die Wohnung doch noch zu verlassen, doch allein die Tatsache, dass ich mir solche Gedanken machen musste, fand ich schrecklich.
- Eine der schlimmsten Erfahrungen erlebte ich mit einem meiner Partner. Sie ist deshalb für mich besonders schlimm, weil ich dachte, so etwas würde mir nie widerfahren. Sie ist schlimm, weil ich nach dem ersten Mal noch keine Konsequenz zog, sondern erst nach dem zweiten Mal und einigen anderen Vorkommnissen. Mein damaliger Partner schlug mich. Aus heiterem Himmel, weil ihm irgendetwas nicht gefiel, was ich gemacht hatte (ich weiß nicht mehr, um was es sich handelte). Es ging dem Ganzen aber noch nicht einmal ein Streit voraus. Ich habe mich so machtlos gefühlt. Und das, obwohl ich seit langem Kampfsport gemacht hatte und mich sonst durchaus selbstbewusst und wehrhaft fühlte. Jedoch nicht in dieser Situation. Einmal verzieh ich ihm. Ich hätte es besser wissen sollen … Nach dem zweiten Mal habe ich mich von ihm getrennt.
Nur die Spitze des Eisbergs
Frauen sind selbst schuld. Sind sie nicht!
Frauen ernst nehmen
Und genau deshalb darf es nicht mehr heißen: Frauen übertreiben doch, ist doch alles nicht so schlimm. Sie müssen ernst genommen werden – von Frauen und Männern. Das heißt im Gegenzug nicht, dass Gewalt gegen Männer in Ordnung ist. Gewalt gegen Menschen ist niemals okay. Nirgends. Genau das müssen die Arschlöcher dieser Welt lernen, egal, wer sie sind und woher sie stammen. Jedoch nicht durch selbsternannte Bürgerwehren, durch uns alle, indem wir – Männer und Frauen – sexuelle Gewalt benennen, aufdecken und sie, wenn es geht, gemeinsam verhindern, zum Beispiel indem wir den Mund aufmachen oder die Polizei benachrichtigen oder Frauen und Männern in Not beistehen.
Danke für Deinen Beitrag, Simone. Kann ich vollumfänglich unterschreiben. Und der Hashtag #Aufschrei hat ja deutlich gezeigt, dass der Respekt vor Frauen kein bisschen gestiegen ist, dass unsere Grenzen nach wie vor tagtäglich überschritten werden.
#NotEveryMan, aber #EveryWoman. Bis heute.
Zunächst mal bewundere ich deinen Mut dass du deine Erlebnisse in dieser Offenheit publizierst. Als Mann kann ich mir sicher nicht annähernd vorstellen was solche Erlebnisse für eine Wirkung bei den Betroffenen haben. Als Crossdresser habe ich allerdings mehrfach Erfahrungen gemacht, deren Muster doch recht ähnlich sind. Zum Glück bislang nur virtuell im Netz, vermutlich weil ich nur sehr selten Outdoor bin. Plumpe Anmache wie z.B. „Mit dir könnte ich mir mehr vorstellen“ ist dabei die harmlosere Variante. Was denken sich solche Arschlöcher dabei, warum glauben sie dass eine „Transe“ nur darauf wartet von irgendwelchen Typen angemacht zu werden? Zum Thema „selber Schuld“ kann ich nur sagen, dass Manuela mit ihrer Vorliebe für lange Röcke und Haushaltskittel wohl kaum in das aufreizende Minirock-Schema passt, daran kann es also nicht liegen. Man kann nur hoffen dass Köln ein bisschen aufrüttelt, das Thema Gewalt gegen Frauen (oder vermeintlich Wehrlose) ein bisschen in den Vordergrund rückt.
Ich habe auch lange überlegt. Aber es nützt ja nichts, das alles zu verschweigen. Außerdem müssen mir die Erlebnisse ja auch nicht peinlich sein. Peinlich müssten sie den Männern sein. Auch virtuelle Anmache, wie du sie erlebst, kann sehr belastend sein. Finde ich.
Na, das ist doch selbstverständlich dass es dem Opfer nicht peinlich sein muss. Die Opfer brauchen auch keine klugen Ratschläge wie sich sich schützen können.
Die Aktualität hat meinen Kommentar eingeholt, unter http://www.queer.de/detail.php?article_id=25377 ist zu lesen dass in Dortmund zwei Transgender-Frauen von einem Männer-Trio auf massive Weise verbal, sexuell und durch Steinwürfe angegriffen wurde. So muss man Simone leider zustimmen, nicht nur Frauen sind betroffen.
🙁